Wo der Flow ist, ist auch das Glück

Selbst die Wissenschaft findet, dass es eine sehr komplexe Angelegenheit sei, Entscheidungen zu treffen und präsentiert uns hierfür einen ganzen Strauß von Möglichkeiten, beispielsweise in den Fächern Politik oder Psychologie. Eine dieser Möglichkeiten greife ich gerne heraus, denn die kennen wir alle : „to moddle through“, sich durchwursteln. Das ist so die Strategie, eben keine Strategie zu entwickeln, sondern zu schauen, was jeweils für den Augenblick verspricht, ein guter nächster Schritt zu sein. Klingt irgendwie pragmatisch und ist es auch.

So kann es durchaus passieren, dass wir zu unserem jetzigen Studienfach gekommen sind, weil für das Wunschfach die Abinote nicht gereicht hat und ich so wenigstens weiterhin meine beste Freundin an meiner Seite habe, denn die hat sich für dieses Studienfach entschieden.

Aber: auch selbst zu so einem „nächsten Schritt“ muss man sich also entschließen, sprich: eine Entscheidung treffen. Über Entscheidungen haben wir uns ja hier schon ein paar Mal ausgetauscht. Das gehört wohl zum Wesen der Entscheidung ganz grundsätzlich: das öfter oder länger oder öfter und länger drumherum denken und reden. Und dann wieder keine Entscheidung getroffen haben. Als pragmatische Zusammenfassung und damit mal etwas vorwärts geht, schlage ich heute mal vier grundsätzliche Herangehensweisen zum Thema Entscheidungen vor:

Ich treffe eine Entscheidung – die Angelegenheit ist damit geklärt und es geht gut weiter (bis zum nächsten Punkt, an dem sich eine Entscheidung konstelliert, aber davon weiß ich ja jetzt noch nichts und auf Grund der guten Erfahrung gehe ich gelassen drauf zu).

Schauen wir uns das Ganze an einem konkreten Beispiel an: Mein Arbeitsplatz ist super, aber alle meine Freunde leben in einer anderen Stadt. Ich entscheide mich dorthin zu ziehen und das Pendeln auf mich zu nehmen. Mein Lebensmittelpunkt an den Wochenenden und in meiner Freizeit ist nun in meinem Freundeskreis und das fühlt sich richtig gut an.


Ich treffe eine Entscheidung, die sich leider als eine nicht gute herausstellt; dann mache ich immerhin eine Erfahrung und kann die nächste Entscheidung (die ja auch manchmal heißen kann: ich nehme meine Entscheidung zurück und schlage einen anderen Weg ein) vor einem anderen Erfahrungshintergrund treffen, bin durch die getroffene Entscheidung ja schon um eine wichtige Erfahrung reicher, reifer und dadurch klüger geworden.

Gehen wir wieder zurück zu unserem Beispiel: Ein Jahr nach meinem Umzug merke ich die Erschöpfung, die der viel weitere Arbeitsweg bei mir hinterlassen hat. Außerdem sind mehrere meiner Freunde woanders hingezogen oder haben aufgrund von Liebe oder Familienphase gar keine Zeit mehr für mich. Was nehme ich daraus mit? Beispielsweise habe ich mich besser kennengelernt und weiß nun, dass ein langer Weg in die Arbeit nichts für mich ist. Ich habe erfahren, dass die anderen keine festen Größen sein müssen. Sollte ich also mal wieder vor so einer Frage stehen, würden in meine Entscheidung noch ein paar Komponenten mehr einfließen. Und in dem Fall: Ich kann mir einfach wieder eine neue Wohnung näher am Arbeitsplatz suchen.


Die dritte Möglichkeit ist: ich entscheide, mich nicht zu entscheiden und lasse die Angelegenheit für den Moment beim status quo, lasse sie auf sich beruhen, bin vorerst einverstanden mit dem, wie es jetzt ist und unternehme eventuell einiges, um meine Lage, den Sachstand, meinen Wissensstand zu verbessern, falls ich mich doch noch irgendwann einmal dieser Entscheidung stellen will oder muß. Alles drei gute und gangbare Wege.

Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Wie bereits gesagt, der Arbeitsplatz ist super und erfüllt mich. Das genieße ich sehr. Ja, manchmal ist es schon ein ganz schöner Aufwand für ein Feierabendbierchen noch eine Stunde zur Clique zu fahren. Aber ich bin frei und es ist möglich. Und wer weiß, was sich bei den anderen noch tut? Ich warte lieber mal ab.


Der vierte Punkt allerdings fühlt sich im allgemeinen weniger gut an — und ist streng genommen ein zweigeteilter Punkt: entweder, ich verbeiße mich jetzt so sehr in meinen Engpass, unbedingt eine Entscheidung treffen zu wollen und zu müssen, dass ich vor lauter Enge gar nicht mehr klar denken geschweige denn mich spüren kann. Oder – eben weil ich immerhin noch spüre, dass so nichts Gutes zustande kommen wird, schiebe ich die Entscheidung und meinen Druck, mich entscheiden zu müssen wieder und wieder hinaus- bis ich am Ende gar nichts mehr weiß. Mit viel Glück vielleicht noch meinen Namen. Jedenfalls nicht, wie ich mich entscheiden will.

In unserem Beispiel bei der Frage „Soll ich umziehen?“ könnte sich folgendes Szenario ergeben: Ich kann an nichts anderes mehr denken. Studiere ständig die Wohnungsanzeigen. Verbringe meine Feierabende mit Besichtigungen. Die Stunde im Auto quält mich jedes Mal. Jede Absage nervt mich. Gefühlt verbringe ich meinen halben Feierabend mit Organisieren von Treffen, die nie zustande kommen. Mein Lebensglück hängt an dieser einen Frage. Ich habe Angst, mich falsch zu entscheiden. Was, wenn meine Freunde dann wegziehen oder in die Familienphase eintreten und gar keine Zeit mehr für mich haben? Dann bin ich extra umgezogen und sitze dann trotzdem alleine da. Und einen weiteren Weg in die Arbeit habe ich auch noch! Sollte ich vielleicht umziehen und auch noch eine andere Arbeitsstelle suchen? Das Gedankenkarussell dreht und dreht sich…


Zweifellos habe ich bis zu diesem Punkt eine große Menge Lebensenergie – Zeit, Gedanken, Spannkraft, emotionale Kraft und sozialen Goodwill – verbraucht, ja verschlissen, und das ohne greifbares Ergebnis.

Und hier kommt nun die Yerkes-Dodson-Kurve ins Spiel, die uns lehrt, dass eben nicht mehr dabei herauskommt, wenn man sich mehr anstrengt. Sondern dass es eben für jede Leistung ein Optimum gibt bezüglich Einsatz, Anspannung, Konzentration, Tempo. Diesen Scheitelpunkt der Kurve kennen wir alle als „Flow“. Die Verfassung, in der alles leicht von der Hand geht, einfach läuft, genauso weit weg von Langeweile wie von Stress. Dieses Optimum ist keine festgeschriebene Linie, sie ist bei Jedem individuell, schwankt mit Anforderung, Tagesverfassung und Fitness und lässt sich beeinflussen – beispielsweise durch mentales Training oder körperliche Fitness, durch so einfach zu realisierende Dinge wie regelmäßige Pausen einzulegen.

Mein Vorschlag, wenn Sie mal wieder vor schwierigen Entscheidungen stehen: lassen Sie uns gemeinsam an der Optimierung Ihrer Leistungskurve arbeiten. Dort, wo der Flow ist, ist auch Ihr Glück. Befassen wir uns lieber mit der Frage, wie Sie Ihre Aktivierung erhöhen können, als mit engpasskonzentriertem Entscheidungsdruck. Und lernen Sie, statt weiter Ihren Burnout zu befördern mit dem ständigen Stress, Entscheidungen vor sich herzuschieben, lieber Ihre Lebensenergie für Ihr Leben und Ihre Freude daran einzusetzen.

Und übrigens: Es soll vorkommen, dass sich richtig gute Entscheidungen so von alleine einfinden.