Die Unaufhörlichkeit des Entscheidens oder warum George Clooney bei mir keine Chance hat

Flatterte mir doch neulich ein freundlich-anmachiges Schreiben ins Haus: an die Praxisinhaberin adressiert, ein tolles Angebot: die Nespressomaschine für 1 €, bei Bestellung von 600 (bzw. mit Milchschaumzubereitung in der Maschine 800) Kapseln. Wow – dieses geile kleine chice Teil praktisch geschenkt. Der Duft – nicht nur von frischem Kaffee, sondern auch der großen weiten Welt in meiner bescheidenen Hütte. Welch eine Verlockung!

Da kam die Erinnerung an die Supervisorenausbildung letztes Jahr im igf bei Dr. Eggebrecht in Weilheim. Da gab’s genau diese Maschine auch und die Kollegen und ich genossen in jeder Pause eine neue Sorte, eins-zwei-drei im Handumdrehen, ein Espresso, einen cafe latte, so schnell so praktisch so lecker… und klar, danach hatte ich auch gleich überlegt, mir diesen Luxus ins Haus zu holen, meine Klienten und mich selbst damit zu verwöhnen. Irgendwie ist es mir dann aber auch wieder weggerutscht – nicht nötig, nicht so wichtig, der viele Müll, die Investition, und überhaupt….

Und jetzt kommt das Angebot ins Haus und macht die Entscheidung akut und konkret. Peng. Was mach ich jetzt bloß damit? Ich hob mir jedenfalls den Gutschein mit dem Aktionscode auf und vergrub ihn erst einmal auf meinem Schreibtisch. Bei jedem Mal Ablage machen kam er dann aus dem Stapel wieder nach oben. Ist ja noch viel Zeit… bis 15. Dezember gilt er ja… und letzten Sonntag faßte ich mir endlich ein Herz. Und folgte dem Pfad im Internet, wählte aus einer verwirrenden Vielfalt von angebotenen Kapseln, Kaffeesorten von Äthiopien über Brasilien, von rosabaya de colombia über Arpeggio im Gebinde, zu Paketen von 10 bis 50 Stück, von Sondergebinden, von denen man aber nur eines bestellen konnte, bis ich endlich meine 600 Kapseln Espresso gemischt mit Lungo, der Sorten stretto bis keine Ahnung mehr wie zusammengestellt hatte. Geschafft. Dachte ich. Doch: weit gefehlt! Die nächste Hürde bestand in der Eingabe meiner Steueridentifikationsnummer. Mon Dieu! Wie gut, daß ich den ganzen Zirkus nicht irgendwo unterwegs unternommen hatte – denn davon war zuvor nie die Rede; und die ganze Eingeberei wäre für die Katz, weil ich meine Steuer ID nicht gerade in der Handtasche mit mir herumtrage. Also, hoch ins Büro und die Nummer dem Steuerordner entnommen. Heilige Ordnung, segensreiche Himmelstochter Du… gleich gefunden. Und wieder Treppe nach unten, die Nummer eingegeben. Und: Schluß.

Auf die Weiter-Taste erfolgte kein „Weiter“. Geben Sie die ID Nummer im Format DE123456 ein. Verflixt, bei meiner ID Nummer gibt es kein DE. Verwechseln die denn etwa ID mit der IBAN? Nochmal nach oben, mich vergewissern, ob ich diese blöde Nummer vielleicht ihres DE-Vorsatzes beraubt habe? Nein, natürlich nicht, richtig und vollständig abgeschrieben. Neuer Versuch. Und wieder – kein weiter. Wieder, und wieder und wieder und wieder – und plötzlich – nachdem ich genau das Gleiche eingegeben hatte, funktionierte es. So was Blödsinniges. Das soll jetzt ein Mensch verstehen. Aber egal, Frust gilt es zu überwinden, Hauptsache es gibt endlich die Kaffeemaschine und ich kann den ersten Espresso geniessen. Durchhaltevermögen hatte ich ja jetzt wahrhaft bewiesen. Jetzt war aber wohl endlich die Belohnung fällig. Nach Adresseneingabe, Eingabe der Zahlungsart – immer wieder der Hinweis: den Gutschein könne ich ganz zum Schluß eingeben. Denn die Rechnungssumme rechts unten war ja schon erschreckend, immer mal wieder war ich versucht, aufzugeben und riss mich am Riemen: davon mußt Du ja noch 178 € abziehen, das ist ja gar nicht die Endsumme, jetzt werde nicht kleinmütig kurz vor Torschluss und gib nicht auf, weil Dir die Ausgabe zu hoch erscheint. So, jetzt nur noch ein Schritt, den Gutscheincode eingegeben – und – statt der erlösenden Mitteilung, daß der Kauf jetzt abgeschlossen ist: Ihr Gutscheinode wurde nicht erkannt. Sie können ihn in 30 Sekunden wieder eingeben oder sich an den Nespresso Club wenden.

Ja, was fällt denen denn ein, ich bin doch kein Betrüger und gebe hier irgendeine falsche Nummer ein. Das ist ja allerhand, mir ein Geschenk zu schicken und mich dann im letzten Moment abrutschen zu lassen. Wieder einmal Frustrationstolerenz üben – beim letzten Punkt hat es ja auch aus unerklärlichen Gründen dann im x-ten Anlauf geklappt … und wieder eingeben die Nummer. Infamerweise wurden hier die Abstände, nach denen man den nächsten Versuch starten durfte, immer länger. Mein schöner Sonntagnachmittag, der gleitet mir jetzt aber langsam aber sicher dahin… so ein Mist, bestrafe ich mich selber, indem ich dieser „Sehnsucht nach frischem Espresso schnell und jederzeit“ nachgebe? Habe ich mich jetzt zu etwas verführen lassen, das mich um die schönste Zeit der Woche bringt? Was für ein vergiftetes Geschenk ist das denn, worauf bin ich denn da abgefahren? Nicht nachdenken jetzt, weitermachen, sonst ist ja alles für die Katz gewesen. Also doch noch beim Nespresso Club anmelden, um mich dann an diesen wenden zu können, sollte die Eingabe gar nicht gelingen. Wieder nicht geklappt – so jetzt ist aber Schluß. Jetzt können die mich gern haben. Bin ja sowieso ambivalent diesem Aluminiumkapselverbrauch gegenüber. Alles was recht ist. Jetzt reicht es mir. Sonst ist auch noch der Sonntag im Eimer. Aus. Äpfel. Amen.

Noch eine Mail an die Servicehotline: Melde mich ab, als Kunde und vom Nespressoclub. Das war zuviel des Ärgers, mit Euch will ich nichts zu tun haben, schönen Tag noch. Und raus in den Park an die frische Luft und den Ärger schnell vergessen. Habe ich so lange ohne Nespressomaschine gelebt, dann brauche ich sie auch weiterhin nicht und es gibt eben keinen Kaffee in der Praxis. Bin ja schließlich auch kein Bistro. Was soll´s…. Vorbei. Gutschein zerrissen und weg damit. Ende. Vergessen.

Bis zwei Tage später vom Service eine so persönlich formulierte, freundliche Antwort kam: das bedauern wir sehr, es war keineswegs unsere Absicht, Sie zu ärgern. Wir sind sicher, doch noch gemeinsam zu einer guten Lösung zu kommen. Rufen Sie uns doch an oder teilen Sie uns mit, was Sie alles ausgewählt hatten.

Mann, jetzt gehts wieder los. Ich hatte doch damit abgeschlossen. Aber jetzt so einem freundlichen Menschen einfach nicht zu antworten – das bringe ich auch nicht fertig. Aber – was soll ich denn antworten, was soll ich denn jetzt tun?

Keine Ahnung, inzwischen war mir der Appetit auf Kaffee wirklich vergangen. Keine Lust, das Entscheidungskarussel noch einmal zu besteigen. Also – nochmal drüber schlafen…

Inzwischen war Feiertag und ich hatte mich mit meiner Tochter zum Spaziergang verabredet. Wir sprachen so über dies und das, und plötzlich fiel mir mein Konflikt wieder ein und ich erzählte ihr davon. Und daß ich so gar keine Ahnung hatte, nach welchen Kriterien ich denn nun entscheiden sollte. Denn in der Zwischenzeit hatte mein ökologischen Gewissen sich doch massiv wieder gemeldet und mir in Erinnerung gebracht, warum ich all die Jahre, die es diese verlockende kleine Maschine nun schon gibt, immer wieder nein zu ihr gesagt hatte. Aluminiumkapseln, kein fair trade Kaffee und wieder ein elektrisches Gerät mehr angeschafft – der gemahlene Kaffee schmeckte doch auch, und mit meiner Filtermethode bereitete ich privat Fairtradekaffee zu. Meine Tochter bot mir ihre alte Maschine an, die noch bei ihr im Keller stand. Warum eigentlich nicht? Hatte mich doch ein kleines Konsumteufelchen verführen können – weil es was umsonst gibt, wegen eines Gutscheins war ich bereit gewesen, meine Prinzipien über den Haufen zu werfen. Scham machte sich in mir breit wegen meiner Wankelmütigkeit.

Oh wie schwer die Banalität des Lebens doch manchmal sein kann. Kennen Sie das auch – und sind Sie auch schon der einen oder anderen Verführung erlegen? Ist es nicht spannend, wie die großen Fragen, die uns beschäftigen, sich dann oft an so scheinbar kleinen, banalen Entscheidungen manifestieren? Das kann uns im Alltag überrumpeln und zu einer echten Herausforderung werden. Gleichzeitig ist dieses sich aber tagtäglich entscheiden zu müssen und zu können auch eine große Chance: wir haben täglich die Wahl und in unseren Entscheidungen liegt unsere Entwicklung.  Nach Ärger, Schreck und Scham kann ich jetzt wieder drüber schmunzeln. Zum Glück…

Und noch etwas nehme ich als Erfahrung mit: egal wie banal eine Entscheidung auch manchmal erscheinen mag, ein Gegenüber trägt zur Klärung bei.

Also ab sofort FairTrade Kaffee in der Second Hand Maschine, wenn Sie mir einen Besuch abstatten. What else?