In diesen Wochen sind viele von Ihnen im Ehrenamt unterwegs, zur Vorbereitung der Landtagswahlen, im Dienst unserer Demokratie. Engagierte MitbürgerInnen setzen ihre Zeit und Kraft ein für ein idealistisches Ziel, nicht zu ihrem eigenen Nutzen, sondern für das Gemeinwohl. Das ganze Jahr über sind viele Idealisten im Einsatz – angefangen von der Freiwilligen Feuerwehr und den Rettungsdiensten – und viele Menschen haben das Helfen zum Beruf gemacht: Krankenschwestern, Altenpfleger, Therapeuten und viele mehr. Aber auch viele Leitende Angestellte, Manager, Freiberufler sind beseelt von der Idee, an ihrem Platz die Welt ein klein wenig besser zu machen und laufen über die Jahre Gefahr, sich zu verausgaben, leer zu laufen, die Fürsorge für sich selbst zu vernachlässigen. Von Alleinerziehenden und so manchen Großeltern ganz zu schweigen.
Das Phänomen Burnout greift an vielen Stellen Raum, Präventionsangebote werden vielerorts dafür entwickelt. Bereits im Blogbeitrag im März hatte ich Ihnen das Thema angekündigt: die Prävention vor dem Burnout der Therapeuten, Idealisten und Ehrenamtlichen, dem sogenannten „Compassion fatigue“. Dieser speziellen Prävention bedarf es, da hier Menschen unter Belastungen in spezifischen Rahmenbedingungen stehen, ein Leerlaufen zudem eine ganz besondere wesentliche Qualität dieser Menschen und damit auch die ihnen Anvertrauten bedroht: das Mitgefühl, die Fähigkeit, sich emphatisch einzufühlen. Hier hat sich als stärkendes Element das „ABC der Selbstfürsorge“ als Fachbegriff etabliert. Die Lesart dafür ist unterschiedlich: Achtsamkeit – Balance – Connection/Verbindung heißt es so überwiegend in den Kursangeboten für Pflegende. „Analyse-Bewertung-Consequence“ habe ich neulich in einem Handout der TU Dortmund entdeckt.
Beide Begriffsreihen beinhalten wichtige Elemente für eine gelingende Selbstfürsorge: achtsam sein – mit sich und anderen, aber auch den Anforderungen; die Balance wahren – zwischen je nach Kontext sehr verschiedenen Polen; in Verbindung bleiben – ja womit? Mit sich, den Mitmenschen, den Systemen, der Aufgabenstellung? Das kann aber auch genau zum Engpass werden, denn helfende Menschen spüren ja eben vor lauter Verbundenheit oft nicht mehr ihre Grenzen und notwendigen Bedürfnisse.
Die Wortreihe der TU Dortmund ist deutlich auf Konsequenz, Handlung orientiert. An ihr gefällt mir die Bewertung, die prinzipiell eine Wahl und damit eigene Wirkmächtigkeit beinhaltet; bei groben Schieflagen in puncto Personalschlüssel, Arbeitsbelastung, Verwaltungsauflagen schaut diese potentielle Wahlmöglichkeit in der Praxis oft recht eingeengt aus. Der Dreisatz mit der Konsequenz am Schluß bleibt leider oft auch mehr Wunsch als Möglichkeit, wenn echte Spielräume fehlen und die Konsequenz letztlich lautet „weiter so“.
ABC. Und Punkt.
Meine Lieblingsworte im Rahmen des Systemischen Coachings für das ABC der Selbstfürsorge lauten Analyse – Bearbeiten (ein Bewerten und Einordnen kann durchaus ein Aspekt dabei sein) – und Conclusio: ein Schlusssatz. Und danach einen Punkt machen, das Ganze wirken lassen. Worin sehe ich den Unterschied? Nach der Analyse und dem Durcharbeiten auf allen relevanten Ebenen kommen wir erst einmal zu einem Schluss für den Moment, machen einen Punkt. Vermeiden damit Redundanzen, gar Abwärtsspiralen, erzeugen keinen Lösungsdruck. Ganz nach dem Motto: das Problem ist ja nicht das Problem, die Lösung ist das Problem. Und sowohl den Blick auf die gesamte Problemstellung, als auch angedachte, wünschenswerte Lösungsansätze lassen wir erst einmal stehen und wirken. Üben uns darin, das Auszuhalten, was jetzt ist, sogar anzunehmen. Geben Kopf, Herz und Bauch die Chance, sich damit auseianderzusetzen, nehmen Intuition und Unbewusstes mit ins Boot, die willig für uns arbeiten, wenn sie sich nicht unter Druck gesetzt sehen. Und begeben uns in eine akzeptierende vertrauensvolle Grundhaltung, die erst einmal wahrnimmt und bejaht, was jetzt ist. Wie gefällt Ihnen das?
Die Fortsetzung auf dem Lösungsweg erfolgt dann in der nächsten Coachingsitzung – und was glauben Sie, was oft in der Zeit zwischen zwei Sitzungen sich von ganz allein in Ihnen verändert hat!
Die Geschichte vom Leuchtfeuer
Für die Ehrenamtlichen im Endspurt vor den Wahlen und für die Zeit danach, und für alle, die sich Tag für Tag verausgaben, kommt zum Nachdenken hier die Geschichte vom Leuchtfeuer, als Symbol für die Selbstfürsorge. Damit die Kunst, das Leuchtfeuer zu bewahren, weiter wachsen möge…
Es war einmal vor langer Zeit, als die Leuchttürme an der Küste noch mit Öl betrieben wurden und jeden Abend die Leuchtfeuer entlang der Küste den Seeleuten Orientierung gaben. Ein Wärter, der bei seinem Turm die Aufgabe hatte, das Öl rechtzeitig nachzufüllen, erlebte die folgende Geschichte:
In einem Dorf an der Küste herrschte ein nasskalter Winter, der nicht enden wollte. Der stolze Leuchtturm wurde von seinem Wärter täglich mit Öl versorgt. Der Leuchtturmwärter stieg immer wieder treppauf und treppab, um das Öl nach oben zu holen und das Feuer in der Nacht zu entfachen. Ein Mann kam zum Leuchtturmwärter und berichtete, dass seine Frau krank wäre und sie kein Öl mehr zum Heizen hätten. Vielleicht könnte der Leuchtturmwärter etwas Öl abzweigen? Der Wärter war ein netter Mann, und er konnte den Bittsteller gut verstehen. Also gab er ihm ein Kännchen mit Öl. Am nächsten Tag kam ein altes Mütterchen, ganz gebeugt und steif von der Kälte. Sie habe gehört, sie könnte vielleicht etwas Öl bekommen, es sei so furchtbar kalt. Der Leuchtturmwärter gab ihr ohne zu zögern etwas Öl. Am folgenden Tag kam ein Vater, die Kinder hätten Hunger, aber sie könnten nichts kochen. Der Leuchtturmwärter gab ihm etwas Öl. Natürlich. Es war ja wirklich ein harter Winter. Jeden Tag kamen Menschen zu ihm, und alle hatten grosse oder kleine Probleme. Der Leuchtturmwärter konnte niemandem etwas verwehren. Das Wort „Nein“ gab es bei ihm nicht, und so kam es ihm auch nicht über die Lippen.
Eines Tages stand er im Vorratsraum und erschrak heftig. Das Ölfass war fast geleert. Er rannte zur Post und telegrafierte für Nachschub. Als er wieder zu seinem Leuchtturm zurück kam, war er ganz aufgelöst und ausser Atem. Vor der Tür stand schon wieder ein Bittsteller. So schwer es ihm fiel, dieses Mal musster er „Nein“ sagen. Es fiel im unsagbar schwer. An diesem Abend entfachte er mit dem Rest seines Öls das Leuchtfeuer. Die ganze Nacht betete er und beobachtete das Feuer. Es reichte gerade eben noch bis zu Beginn der Morgendämmerung. Er erkannte mit Entsetzen, dass sein Mitleid beinahe zum Verhängnis geworden war, für die Seeleute draußen, für die er Verantwortung trug, und damit für sich selbst.
Als der Nachschub schliesslich da war, war er so froh und erleichtert, wie noch nie davor in seinem Leben und etwas in ihm hatte sich verändert. Von nun an wusste er, was zu tun war, und er konnte die Dringlichkeiten besser sortieren. Und er hatte gelernt, auch einmal „Nein“ zu sagen. Das Leuchtfeuer hielt er seit diesem Erleben Nacht für Nacht sorgfältig in Gang.
(erzählt nach Ulrike Patalla, „Der Leuchtturmwärter“, in: Kaiser Rekkas (Hrsg.) 2009. Wie man ein Krokodil fängt, ohne es zu verletzen. Carl Auer Verlag.)
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