„Dann machen S´ halt a bisserl Yoga…“

… und dann kriegen Sie das schon wieder in den Griff.“ So oder so ähnlich lautete der gute Ratschlag aus dem Freundeskreis gerne, wenn sich der eine oder andere Klient früher einmal äußerte, er habe mit der einen oder anderen Lebenssituation so seine Schwierigkeiten oder sogar seine liebe Not. Diese in der Regel gut gemeinten aber etwas hilflosen Anregungen brachten einen zwar nicht weiter, konnten aber als emphatische Äußerungen zumindest das Gefühl erwecken, es wollte einem jemand etwas Gutes sagen. So weit, so schlecht.

Inzwischen mehren sich die Berichte, ähnlich lautende Anweisungen seien aus dem Mund von Vorgesetzten zu hören, selbst wenn man sich nicht klagend und ratsuchend, sondern eher Missstände benennend und Veränderungen fordernd an diese gewandt habe. Und das macht die Klienten oft hilflos bis wütend – und mich sehr nachdenklich….

Im Rahmen der Burnoutprävention sind Entspannungsübungen nach meiner Erfahrung ein wichtiger Baustein; bevorzugt empfehle ich die Progressive Muskelrelaxation (Jacobsen) und das Focusing (Gendlin). Diese beiden Verfahren können Sie übrigens kennenlernen und ihre Wirkungen erfahren im Rahmen des Münchner Klimaherbst. Was also ist es genau, warum mir diese Empfehlung von Seiten der Vorgesetzten etwas Kopfzerbrechen bereitet?

Wenn zwei das gleiche sagen oder tun, so ist es nicht das selbe.

Der Entschluss, mit praktizierter Entspannungsarbeit für sich zu sorgen, ist für den Einzelnen ein Schritt zur persönlichen Gesundheitsfürsorge und hilfreich wie das täglich mehrmalige Zähneputzen. Aus Richtung von Arbeitgeber und Vorgesetzten klingt für mich diese Aufforderung aber eher wie eine Mahnung, für eine gute und leistungsfähige Verfassung zu sorgen. Dagegen ist nichts zu sagen, immerhin ist der Angestellte aus deren Blickwinkel sogar zur Erhaltung seiner Arbeitskraft auch vertragsgemäß verpflichtet. Höre ich daraus immanent aber manchmal auch die Abwehr von Kritik? Den Appell, die bestehenden Strukturen, Abläufe, Zielsetzungen (nämlich des Unternehmens in diesem Fall) keinesfalls zu hinterfragen? Also: sich doch bitteschön selbst eine Lösung einfallen zu lassen, wie man „es hinkriegt“, wie man mit Beschleunigung, Digitalisierung, Multitasking, Globalisierung und Co. „irgendwie fertig wird“ – und die Mitmenschen damit in Ruhe zu lassen, jedenfalls bestehende Systeme und ihre Abläufe nicht zu irritieren?

Eine Ebene höher schließe ich den fiktiven Vorgesetzten in diese Problematik aber gleichwohl mit ein: unsere ganze Gesellschaft befindet sich derzeit auf einem Trip der Selbstoptimierung in allen Lebensbereichen: beim Essen und Trinken, bei der Urlaubsplanung, im Sport, in der Kindererziehung, ja sogar in der Liebe. Es wäre ein Wunder, wenn davon „der Job“, die Betriebe, Konzerne, das Wirtschaftssystem ausgenommen wären.

Das Burnout-Phänomen, von dem sich mittlerweile jeder zweite Bundesbürger bedroht sieht, ist Ausdruck dieses Strebens nach Perfektion in allen Bereichen und damit auch längst nicht mehr allein der Arbeitswelt anzulasten. Laut einer Studie der AOK sind die Fehltage bei Arbeitnehmern aufgrund von psychischen Erkrankungen in den letzten zehn Jahren um 79 Prozent gestiegen. Anhaltende Erschöpfung, nachlassende Leistungsfähigkeit bis hin zu Symptomen einer Depression können nicht ausbleiben, wenn der Mensch sich Tag und Nacht ohne Pausen und Regenerationszeiten abmüht, auf allen Gebieten seines Lebens „das Optimum“ zu erreichen. Nach seinen Vorstellungen? Nach gesellschaftlichen Maßstäben? Oder schlicht ohne Maß und Ziel?

Dahinter steht das sich Definieren über Leistung, die sichtbar und greifbar gemacht werden muss.

Das Leben „an sich“ genügt uns anscheinend nicht mehr. Oder provokant gefragt: kennen wir das überhaupt noch? Was bedeutet denn „einfach Leben“? Das Menschsein als solches genügt uns nicht mehr, der Status, das Arriviertsein, studiert, promoviert, analysiert oder wenigstens mega wichtig, erfolgreich und wohlhabend, das ist es, was zählt und Bedeutung hat.

Das Leben hat weder einen Sinn, noch hat es keinen Sinn. (Watzlawick)

Nach Viktor Frankl gehört die Suche nach dem Sinn zur conditio humana, weswegen Sinnlosigkeit ein nahezu unerträglicher Zustand sei. Es scheint mir, als haben wir die vorzeigbaren Ergebnisse unserer Anstrengungen – den Six-pack, die Modelfigur, das volle Bankkonto, das Haus, das Auto, die Kreuzfahrt, das Essen im Sternerestaurant, den Urlaub im angesagten Wellnesshotel – zum Sinn unseres Daseins erklärt. Und zwar in dem Maße, wie wir verlernt oder vergessen haben, dass wir dem Leben nur mit allen Sinnen einen Sinn geben können. Dass es um das Schmecken geht beim Essen, um das Riechen der feinen Aromata und Gewürze, das Hören des Windes in den Bäumen, das Sehen der Farben und Formen um uns herum, und im sozialen Miteinander das Wahrnehmen der feinen Schwingungen zwischen Menschen, der kollektiven Stimmungen, die heilsame Wirkung von Begegnung, wahrgenommen werden, Akzeptanz, Wertschätzung, Unterstützung und Wärme. Das alles ist nicht vorzeigbar, selbst den nahestehenden Menschen kaum vermittelbar.

Diese obige Aufforderung „… dann machen S´ halt a bisserl Yoga…“ könnte so womöglich aus dem Blickwinkel des Vorgesetzten auch wie ein Schuss nach hinten los gehen: und helfen, wieder mehr hinzuspüren, persönliche Ziele zu hinterfragen und neu zu definieren. Grenzen zu setzen, Werte neu definieren, Nein zu Bisherigem sagen. Im Sinne von „Arbeiten um zu Leben“ statt „Leben um zu Arbeiten“. Im Sinne von „Weniger ist mehr.“ Als sehnsüchtiger Wunsch, die Natur zu erhalten, unsere größte Quelle von Lebenskraft und Lebensfreude.  Ressourcen zu  schonen, die eigenen genauso wie die des Globus – aus Selbstliebe, Respekt vor dem Leben(sraum) der Anderen auf unserer Welt und Ehrfurcht vor der Schöpfung. Gemeinsamkeit stärken, einander unterstützen, bei aller Konkurrenz. Denn wir sitzen alle in einem Boot.